lunes, agosto 18

Polo Gómez, alias Yolanda

Aids: Yolanda im Kampf gegen das Virus und das Schweigen



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Dann zieht der schlanke 44-Jährige die Turnschuhe aus und schlüpft in Schnürstiefel mit schwindelerregenden Absätzen, ersetzt seine goldenen Ohrringe durch Anhänger, an denen orange Kondompäckchen baumeln. Zuletzt trägt Polo Gómez glitzerndes Blau auf Lippen und Augen. Dann lacht er breit, wirft sich in Pose und sagt gut gelaunt: „Gestatten, mein Name ist Yolanda, la de Río.“

Sechsmal pro Woche wird aus Polo, dem Aids-Aktivisten, Yolanda, die Drag Queen mit Mission. Seit zehn Jahren ist sie in ganz Mexiko im Auftrag der Aids-Prävention unterwegs. Mit dem „Condomóvil“, einem alten Nissan-Van, tourt Yolanda mit Kolleginnen durch Städte und über Dörfer und erläutert Jung und Alt an Schulen, Universitäten und auf Märkten, wie wichtig sicherer Sex ist.

„In den großen Städten sind die Kenntnisse eigentlich recht gut“, sagt Yolanda. Aber vor allem auf dem Land wissen die Mexikaner oft nichts darüber, wie man eine Ansteckung mit dem Virus vermeiden kann, das weltweit 33 Millionen Menschen in sich tragen.





Offiziellen Statistiken zufolge ist HIV/Aids in Mexiko wie in den meisten Teilen Lateinamerikas unter Kontrolle. Mit einer Neuansteckungsrate von 0,3 Prozent befindet sich das Schwellenland sogar leicht unter dem globalen Mittel. 47.000 HIV-Positive gibt es offiziell. Die Dunkelziffer schätzen Aktivisten wie Goméz allerdings viermal höher. Vor allem in Mexiko, aber auch in anderen Staaten der Region konzentriert sich die Infektion zunehmend auf Risikogruppen wie Wanderarbeiter und homosexuelle Männer. Hier sind die Neuansteckungsraten alarmierend hoch, bis zu 20 Prozent.

An diesem Sommerabend sind Yolanda und ihre Mitstreiterinnen Penny, Wica und Britney im Herzen von Mexiko-Stadt unterwegs. Auf der Prachtstraße Reforma, im Schatten des Engel-Monuments, haben sie Gummipenisse, Latexhandschuhe und Stapel von Kondomen auf einem Klapptisch zurechtgelegt.

Es folgt eine Mischung aus Straßentheater und Aufklärungsstunde. Mit doppeldeutigen Witzen stimmt Yolanda das Publikum ein und sucht einen Freiwilligen für die Vorführung des Kondomgebrauchs. Yolanda klopft bei den Zuschauern das Wissen über Safer Sex ab. „Wir hören noch immer, dass Aids durch einen Mückenstich oder Händeschütteln übertragen wird“, sagt Yolanda später und zieht ungläubig die Augenbrauen hoch. Seit 1988 arbeitet Yolanda alias Polo bei „Colectivo Sol“, einer der ältesten von 30 Nichtregierungsorganisationen, die sich in Mexiko dem Kampf gegen die Epidemie widmen. Doch manche Mythen sind unausrottbar.

27 Jahre nach Ausbruch hat sich die Epidemie auf einem erschreckend hohen Niveau stabilisiert. Nach dem am Dienstag vorgestellten Bericht des Aids-Programms der Vereinten Nationen (UN-Aids) waren Ende 2007 weltweit 33 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert. 2007 starben jeden Tag rund 5700 Erkrankte, insgesamt zwei Millionen Menschen. Zugleich steckten sich täglich 7500 Menschen (2,7 Millionen) mit dem tödlichen Virus an.
In Lateinamerika sind rund 1,7 Millionen Menschen infiziert, alleine ein Drittel davon in Brasilien, dem bevölkerungsreichsten Land. Statistisch sprengt aber die Karibik den Rahmen: 230000 HIV-Positive vor allem in Haiti und der Dominikanischen Republik machen die Karibik zu der Region, die nach Schwarzafrika am härtesten mit der Epidemie zu kämpfen hat.
Für den Chef des Mexikanischen Zentrums für HIV/Aids-Prävention und Kontrolle (Censida), Jorge Saavedra, ist es daher höchste Zeit, dass die Welt-Aids-Konferenz nun erstmals in Lateinamerika stattfindet. Die internationale Gemeinschaft habe die Region lange ausgeblendet, kritisiert der Experte. Staaten wie Mexiko und die Länder Zentralamerikas bekämen besonders die Nachteile der Migration zu spüren. Männer, die als Zeitarbeiter in die USA oder große Städte gehen, bringen das Virus mit nach Hause und stecken ihre Frauen an.

In Mexiko steigen laut UN-Aids darüber hinaus in den Grenzstädten zu den USA die HIV-Infektionen durch männliche Gelegenheitsprostitution sprunghaft an. „Das Treffen ist die große Chance, darauf aufmerksam zu machen, was in Lateinamerika passiert“, betont Saavedra. Hauptanliegen der 17. Welt-Aids-Konferenz ist es, dem Ziel des universellen Zugangs für alle Infizierten zu Prävention, Behandlung und Betreuung bis 2010 näherzukommen. Fast 30 Jahre nach dem Auftreten des ersten Falls wird bisher nur jeder dritte Patient behandelt. „Die Aufgabe von ,Aids 2008‘ ist es, allen Beteiligten auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene klarzumachen, dass das umgehend besser werden muss“, sagt Pedro Cahn, Präsident der Konferenz. Wie das erreicht werden soll, darüber diskutieren von Sonntag bis Freitag rund 25.000 Forscher, Ärzte, Politiker und Aids-Aktivisten.

Mexiko präsentiert sich offiziell als vorbildlicher Gastgeber. „Wir geben allein für Medikamente im Jahr 300 Millionen Dollar aus“, betont Censida-Chef Saavedra. „Das ist so viel, wie alle Entwicklungs- und Schwellenländer zusammen vor zehn Jahren in den Kampf gegen die Krankheit investiert haben.“ Laut Saavedra ist in Mexiko der universelle Zugang zu Medikamenten bereits erreicht: „Wir versorgen alle 47.000 registrierten Patienten kostenlos mit den notwendigen Medikamenten in staatlichen Kliniken und Zentren.“

Aussagen, die Polo Gómez alias Yolanda infrage stellt. Er kenne zahlreiche Fälle von HIV-Positiven, die ihre Medikamente nicht pünktlich bekämen, wegen fehlender Arzneien abgewiesen oder einfach auf andere Mittel gesetzt würden. Ein Arzt, der in einem staatlichen Aids-Zentrum arbeitet, bestätigt, dass es zu Engpässen kommt.

Am Engel-Monument in Mexiko-Stadt sind an diesem Sommerabend nicht nur die Drag Queens mit Aufklärung beschäftigt. Die Organisation Cappsida bietet HIV-Schnelltests an. In der Privatheit eines Zelts hat Krankenschwester Yuri Garcia sechs jungen Frauen und Männern eine Speichelprobe abgenommen. 20 Minuten später stehen die Ergebnisse vor ihr. „Wir haben einen positiven Fall“, sagt sie routiniert. „Der Betroffene weiß es nur noch nicht.“

von Klaus Ehringfeld

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